20140305

Fall 1 - XV

Ich kriege ein Auge auf. Mehr noch als nach der Behandlung durch die Muckiboys schreit mein ganzer Körper auf. Als ob er in einer Art und Weise behandelt wird, die ihm ebenso wenig gefällt, wie mir.

Muss blinzeln. Höre im Hintergrund Stimmen. Mehrere? Licht kommt von irgendwo. Ein rötlicher Schimmer. Ich sehe die Sonne. Blutrot am Horizont. Untergehen? Nein, ich liege auf dem Rücken. Erst langsam alle Sinne wieder beisammen.

Angus? - Fuck! Siehst du ihn?

Hank?  - Die Hecke hat ein Loch, aber ich kann nicht reingucken! Wie soll ich ihn also sehen wenn du ihn nicht sehen kannst?!

Richte langsam meinen Kopf wieder auf. Falsch herum auf den Boden gekommen. Taste mit den Händen herum. Anscheinend hat die Hecke den Großteil meines Sturzes abgefedert. Gut für mich, würde ich mal sagen. Über mir sehe ich ein Lock in der Hecke, von dem aus ich den heller werden Himmel sehen kann sowie in Stück vom Hausdach. Kann nicht genau abschätzen, aber ich muss knapp durch die halbe Hecke gefallen sein. Die Stimmen von oben werden panischer.

Angus? - Fuck, Smetnik reißt uns den Kopf ab!

Hank? - Spring hinterher!

Angus? - Bist du wahnsinnig?! Spring du doch hinterher!

Mit etwas Gefühl wieder in den Fingern und Beinen langsam einen Weg aus der Hecke bahnen. Im nächsten Moment knackt es unter mir. Uh Oh. Zweige und Verästlungen brechen unter mir weg, als ich vielleicht zwanzig Zentimeter tiefer auf dem Boden aufkomme. Reibe meinen Hintern. Aber dafür ist unter meinen Füßen jetzt Größenteils Boden. Aufstehen. Mit den Fingern greife ich durch die Heckenreste vor mir und breche durch. Die Sonne strahlt mir mit voller Wucht ins Gesicht. Die rötliche-orangene Morgensonne. Die Nacht ist damit vorbei. 

Ich stehe auf der Gartenseite offensichtlich, vor mir erstreckt sich bis in weite Ferne ein großer Gartenbereich mit verschiedenen kleinen Arealen. Nur ein paar Meter von mir entfernt fließt ein kleiner künstlicher Bach mit Fischen, der sich quer durch den gesamten Garten zieht, unterbrochen nur von einer kleinen hölzernen Brücke ungefähr auf der Mitte des Gartens, erreichbar über einen gepflasterten Steinpfad. Darüber erreicht man damit die linke Seite des Gartens, der sich primär durch ein Gewächshaus und ein paar größere Reihen an Rosenbeeten auszeichnet, während dem gegenüber auf der rechten Seite ein paar anscheinend Marmorne Bänke nebst Statuen und ein paar Hecken einen kleinen Lustgarten mit einem Springbrunnen und einem zentral gelegenen Pavillon bilden. Und das alles wird durch eine knapp zwei Meter hohe Mauer von der Außenwelt abgetrennt. Ich bin ja schon froh, dass ich noch keine Wachhunde sehe. Selbst aus meiner jetzigen Position erkenne ich die Sitzbank auf der das Foto Mokhovs gemacht wurde.

Zu meiner unmittelbaren Rechte befindet sich damit der große Terrassenausgang und der Saal in dem das Interview gemacht wurde, oder? Ein leichtes Abtasten am Heckenrand nach rechts bringt mich zur Ecke. Einmal kurz hervor lugen. Große Außen-Terrasse die an einen Wintergarten erinnert und nur über über einen Korridor mit dem Haupthaus verbunden ist. Und natürlich ein Wachmann der im Inneren...was eigentlich, Patrouillier läuft? Streife? Jedenfalls macht er seine Runden. Kurzer Blick nebenbei aufs Display. Super. Spinnenweben-Muster drauf. Ich kann dieselbe Ansicht jetzt mit Verzerrungen sehen. Soweit ich es ausmachen kann, ist Mokhov entweder bewusstlos oder tot, sein Kopf der Kamera abgeneigt. Im Hintergrund sehe ich eine sich bewegende Hand, aber die scheint nicht zu Mokhov sondern zu dem jungen Mann zu gehören, der sich als Neffe Rieé´s vorgestellt hatte. Würde natürlich bedeuten dass er noch nichts davon weiß, dass ich seinen Leuten entkommen bin. Und es wird keiner damit rechnen, wenn ich den Weg hinein nehmen um jetzt Mokhov rauszuholen. In gewisser Weise denke ich, dass er der Schlüssel sein könnte. Mokhov sollte zu mindestens deutlich mehr darüber sagen können, was es mit der jungen Frau auf sich hat und warum alle hinter ihr her sind.

Je länger ich zugucke, umso mehr fällt mir auf, dass der Wachmann eine stetig gleiche Runde im Wintergarten macht. Einmal um alle Sitzplätze rum, dann ein Blick in den Korridor, langgezogenes Gähnen Richtung Garten, Augen-Reiben beim Blick auf die aufgehende Sonne und erneuter Gang Richtung Sitzplätze. Moment abpassen....und los. Rüber hechten zur Eingangstür, noch ist er mir abgewandt, langsames Drehen des Türknaufs. Es klackt ganz leicht. Nicht abgeschlossen. Jackpot! Ich öffne die Tür einen Spalt weit, husche herein, lehne die Tür vorsichtig an, ducke mich hinter einem der weißen Gartenmöbel, die hier herumstehen. Marke Luxus die Dinger. Höre ein schweren Schnaufen von der Seite. Er hat die angelehnte Tür bemerkt? Das ging schnell. Langsamen Schrittes in der Hocke um das Möbelstück herum, ein schneller Blick. Nope. Er schnauft einfach nur so bei seiner Tour. Er ist zur Hälfte rum. Ich wechsel meine Position in einer gewagten Bodenrolle. Zu mindestens würde ich das, wenn das hier ein Actionfilm wäre, aber so wie meine Gelenke momentan wehtun wäre das Hölle für mich. Im nächsten Moment höre ich von draußen einen dumpfen Aufknall. Kurzer Blick zur Fensterwand zeigt, die Hecke wackelt. Einer der Beiden ist ernsthaft nachgesprungen. Immerhin haben sie Schneid, dass muss ich ihnen ja lassen.

Das wiederum alarmiert den Wachmann. Er schaut etwas verwundert, nähert sich der Terrassentür, schaut etwas skeptisch. Scheint zu bemerken, dass die Tür nicht richtig zu ist. Grummelt sich etwas in den nichtvorhandenen Bart. Gelegenheit nutzen, Zeichner! Umrunde das Möbelstück ganz, befinde mich in seinem Rücken. Langsam komme ich hinter ihm hoch, Linke Hand positioniert ramme ich sie ihm gegen den Rücken.

Zeichner - Keine Bewegung!

Mit einem Mal beginnt der Typ zu erstarren, gleichwohl ich ein leichtes Zittern wahrnehmen kann. Ich greife mit der rechten in seinen Holster, während ich mit der linken so tue, als würde ich ihm einen Lauf in den Rücken halten. Ein Taser. Super. Ausrichten und...Feuer.

Vor mir beginnt der Wachmann unkontrolliert zu zucken, ich merke wie seine Beine nachgeben und er in Zuckungen auf dem Boden zusammen bricht. Fuck sieht das übel aus. Ich greife vom nur wenige Meter entfernten Sofa ein paar Stofftücher, Decken etc. und beginne ihn so schnell und simpel es geht, zu fesseln und zu knebeln., auf das Sofa zu legen damit er nicht sofort gesehen wird. Dann in geduckter Haltung den Korridor Richtung Innenhaus. Noch beim losgehen kann ich von draußen langgezogene Schmerzensbekundungen hören. Hätte ich ihm auch sagen können, dass das wehtut.

Der Korridor trifft sich in einer größeren Halle mit einigen anderen und ein paar kleineren Treppen nach oben. Es ist nicht die Eingangshalle. Trotzdem ist es luxuriös ausgestattet. Ein paar größere Fenster nach vorne zeigen den Blick auf das vordere Anwesen, während hinter mir der Weg in den Wintergarten ist, und es nach links und rechts abgeht. An der Seite zur linken steht auf einem kleinen Telefontisch ein altmodisches Telefon, Marke frühe Neunziger. Der gesamte Fußboden hier im Erdgeschoß scheint mit teurem Marmor belegt zu sein, so wie das wirkt, was ärgerlich ist, weil ich gerade feststelle, dass meine Schritte gut vernehmbar hallen. 

Schnell die Schuhe ausgezogen. Und jetzt sehe ich dass meine Socken ein Loch haben. Na großartig. Immerhin bin ich jetzt deutlich leiser unterwegs. Nur leider habe ich keinen blassen Schimmer, wo hier was wo hinführt. Kurze Logische Deduktion. Es wird irgendwo ein Untergeschoß oder einen Keller geben, so lässt das Mobildisplay vermuten bei dem was ich drauf sehe. Ausgehend davon, dass er also im Untergrund gehalten wird wird es irgendwo eine Treppe hinunter geben. Die Alternative wäre, dass es vielleicht irgendwo einen Aufzug im Haus gibt, den man nutzen könnte, um die Etage zu wechseln, notfalls auch einen Speiseaufzug. Wobei, ob ich da reinpasse? Problem ist, ich weiss in beiden Fällen nicht, wo eines von beiden ist. Weder für die Treppe nach unten, sofern sie existiert, noch für eventuelle andere Wege hinunter oder hoch.

Das laute Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Verflucht, wenn das jemand mitbekommt und herkommen will, könnte ich geliefert sein. Renne rüber. Greife den Hörer, der mir dabei fast aus den Händen fliegt, schnappe ihn aber im letzten Moment mit beiden. Halte ihn langsam und borsichtig ans Ohr. Ich kann eine andere Person am anderen Ende atmen hören. Es wirkt angestrengt.

Anrufer - Er weiß, dass sie entkommen sind.

Die Stimme ist tief, von Spuren von jahrelangem Alkohol und Zigarettenmissbrauch gekennzeichnet.

Zeichner - .... .... Wer sind sie?

Anrufer - Ich melde mich wieder.

Zeichner - Warten sie! Woher wissen sie

Aufgelegt. Treibt der Neffe seine Spielchen mit mir oder ist das eine echte weitere Partei, die um mein Wohlergehen besorgt ist? Und wenn ich nur einen Moment davon ausgehe, dass er Recht hat, könnte ich durchaus in eine Falle laufen. Aber welchen Unterschied machen meine Handlungen dann überhaupt noch? Muss den Gedanken beiseite schieben, für eine quasi-metaphysische Diskussion über Handlungsun/freiheit ist nicht der richtige Zeitpunkt! Echt jetzt, Zeichner.

Ich lege auf. Mir kommt aber eine andere Idee. Nehme den Hörer in die Hand, wähle die Vermittlung. Es dauert einen Moment, bis ich verbunden bin.

Telefon - Silverhill-Vermittlung, guten Morgen, wie kann ich ihnen behilflich sein?

Kurzes Umschauen, ich bin noch alleine, und aus Richtung Wintergarten kommt auch noch niemand. Moment. Silverhill-Vermittlung? Die reichen Bastarde haben eine eigene Vermittlung eingerichtet?

Zeichner - Ich benötige eben eine Verbindung zur Madison Lane. Rassila.

Telefon - Aber natürlich. Einen Augenblick bitte.

Es knackt und knistert, dann höre ich das typische Geräusch einer aufgebauten Leitung. Es klingelt ein, zwei mal. Dann geht jemand ran.

Telefon - Residenz Rassila. Wer spricht da?

Zeichner - Mein Name ist Zeichner, Michael Zeichner, ich arbeite für Miss Rassila, holen sie die Dame so schnell es geht an den Hörer.

Telefon - Augenblick, ich frage nach.

Die nächsten Momente vergehen zähflüssig. Mein steter Blick auf die Korridore gerichtet. Im Hintergrund beginne ich ein paar Geräusche der Betriebsamkeit zu vernehmen. Anscheinend erwacht das Haus selbst gerade erst zum Leben. Seltsam, ich dachte immer Dienstpersonal wäre um diese Uhrzeit schon aktiv. Es könnte ein großer Fehler sein, aber momentan ist im Viertel hier erst mal Rassila die einzige, die mir vermutlich weiterhelfen kann, hier heraus zu kommen. Ausgehend davon, dass ihr Mann wirklich ein Mitglied des organisierten Verbrechens ist könnte mich das natürlich teuer zu stehen kommen. Am anderen Ende nimmt jemand, ich merke wie ich nur ganz entfernt und unterdrückt Stimmen wahrnehme, als ob jemand die Hand auf die Sprechmuschel bzw. den Bereich legt.

Telefon - Zeichner?

Eine gewisse Erleichterung verspüre ich schon, als ich Rassilas Stimme höre.

Zeichner - Esther, hören sie mir zu und hören sie mir gut zu. Mokhov lebt und ich bin dabei ihn hoffentlich herauszuholen. Ich befinde mich im Stockton Drive bei Rieé und sein..."Neffe" hat Mokhov in einem Folterkämmerchen unter Verschluss. Ich muss, sobald ich ihn habe hier weg, aber mein eigener Wagen ist unter Verschluss. Können sie mir helfen?

Für einen Moment. Stille. 

Telefon - Wo und wann?

Zeichner - In zwanzig Minuten hinter dem gigantischen Garten und dessen großer Mauer. Hupen sie, wenn sie da sind. 

Ohne ihre Antwort abzuwarten, lege ich auf.

Das war doch mal souverän und dominant, eh? Würde mir selber auf die Schulter klopfen, wenn es nicht so selten dämlich wäre. Schritte! Irgendjemand mit sehr gut vernehmbaren Schuhen läuft durch einen der Korridore. Ich lege langsam den Hörer weg und ziele mit dem Taser. Welche Reichweite hat so ein Dinge eigentlich?

Die Schritte, so weit sie auch hallen, scheinen sich zu entfernen. Nehme meine Schuhe wieder auf. So stehe ich da, Schuhe in der linken, Taser in der rechten Hand, und schleiche langsam an der Wand zum Korridor hin. Kurzer Blick hinein. Wer auch immer da gerade lang ging hat die Seitentür hinter sich aufgelassen. Langsam dahin geschlichen. Überraschung Überraschung, es ist eine Treppe dahinter in ein Untergeschoß.  Ich schaue mich noch einmal um, aber es ist sonst niemand zu sehen. Also mache ich mich schnellen Fußes die Treppe hinunter. Das ist ohne Schuhe viel schmerzhafter als ich erwartet habe, besonders als ich auf der Mitte offensichtlich einen rostigen Nagel treffe, der mich beinah zu Fall bringt. Scheisse.

Als ich auf den letzten Stufen bin, rasant Geschwindigkeit genommen, sehe ich einen Kopf sich in den Weg kommen, ein Anzugträger, der gucken will, der da die Treppe hinunter poltert. Für einen Moment scheint er verwundert mich zu sehen, als ich unten meine Schuhe in der linken erhebe und sie ihm mit voller Wucht gegen den Schädel brettere. Er weicht ein paar Schritte zurück, ein lautes AUA entfährt ihm, seine Linke greift zu einem Seitenholster. Taster hoch. Feuer! Es dauert nur Sekunden. Er bricht zusammen. Und ich steh im Untergeschoß.

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