20140425

Fall 1 - XXIX

Als wir die nächste Straßenbiegung nehmen, quietschen die Reifen des Taxis bedrohlich auf. Wir haben vielleicht eine Minute Vorsprung. Ibrahim gibt dabei schon so gut er kann Gas, muss aber damit kämpfen, dass er in einer unvertrauten Umgebung fährt.

Wir haben vielleicht einen Vorsprung von weniger als einer Minute. Mein Blick wandert nach hinten. Immer, wenn ich gerade hoffe, dass wir sie hinter uns gelassen haben könnten, kommt ein neuer Wagen um die Ecke, gefolgt von einigen anderen. Sie werden nicht locker lassen, bis sie uns kriegen. Anscheinend habe ich mit der Visitenkarte und der Kneipe genau ins Wespennest gestochen, anders kann ich mir die Reaktion der Einheimischen nicht erklären.

Wir haben einen geraden Streckenteil erreicht, der Motor heult auf, als Ibrahim mit einem Mal voll in die Eisen treten muss. Eine Gruppe von nachtwandelnden Jugendlichen hat sich, mit diversen Alkoholika an der Seite durch die Nacht ziehend in unserem Weg wieder gefunden. Ich kann nur froh sein, dass ich mich gerade noch so festhalten konnte und wir rechtzeitig bremsen konnten, ansonsten wären die meisten der Jugendlichen jetzt eher ein Fettfleck auf der ohnehin nicht ganz sauberen Frontscheibe des Taxis. Hinter uns kann ich die Scheinwerfer sehen, Ibrahim hupt derweil wie wild gegen die Jugendlichen in der Hoffnung, dass sie endlich die Straße freimachen.

Ibrahim – Scheissendreck! Penner!

Einer der Jugendlichen Rabauken haut mit beiden Fäusten auf die Motorhaube und ein paar der anderen, scheinbar angestachelt beginnen sich wieder in den Weg zu stellen. Hinter uns kann ich die Lichter kommen sehen.

Zeichner - Ibrahim! Uns läuft die Zeit davon, fahr einfach!

Er wirft mir einen Blick zu. Ich weiß genau was er denkt. Im nächsten Moment kreischen die Reifen auf, als er von einem Moment auf den nächsten Gas gibt. Es verbleibt kaum Zeit  und dem Anführer der Jugendlichen scheint im Alkoholrausch die Gefahr nicht bewusst zu sein, als er seitlich vom Taxi gestreift wird, da er nicht Platz macht. Es knallt dabei nur kurz und eigentlich gar nicht so laut auf, aber ich kann das Geschreie hinter uns hören, als wir weiter brettern. Einen Vorteil hat das ganze, denn ich kann sehen wie ein paar der Autos anfangen bei den Jugendlichen anzuhalten. Als ich den Blick nach vorne richte, sehe ich, wie wir uns in einiger Entfernung der Stadtgrenze nähern.

Zeichner - Schmeiß mich da vorne raus und dann fahr bis du zurück in der Stadt bist!

Er wirft mir einen wilden Blick zu.

Ibrahim - Tscheissndreck! Bist verrückt geworden?

Ich drücke ihm sanft die Schulter, eine Hand ist schon an die Pistole gelegt, während ich mich bereit mache, mich aus dem fahrenden Wagen fallen zu lassen.

Zeichner - Vertrau mir. Ich weiß was ich tue

Nicht, dass das wirklich der Fall wäre, aber es kommt vermutlich besser, wenn er das in diesem Moment glaubt, weil mir das erlauben könnte, weiterzumachen. Auch, obwohl das bedeutet, ihn als Lockvogel für unsere Verfolger zu benutzen.

Als wir die Kreuzung erreichen und ich zur Seite die kleine Abzweigung zum Industriebereich erkenne, reiße ich die Seitentür auf und werfe mich heraus. Ich kann nicht anders, als zu versuchen, mich so sehr es geht zu einem Ball zusammenrollen, während ich Fahrtwind spüre.

Es sind diese seltsamen Momente, die einem immer wie Ewigkeiten erscheinen, bis sie dann endlich vorbei sind. Unsanft pralle ich auf dem harten Boden auf. Staub und Geröll reißen hart an mir, fetzen in meinen Trenchcoat und anscheinend bin ich auf dem Weg hinunter auch in irgendeinen großen Strauch gekommen, denn um mich herum sind unzählige kleine spitze Dornen, die mir beim durchrollen die Haut aufreißen.

Orientierungslos. Ich kann meine Position nicht bestimmen. Wie weit bin ich geflogen und gerollt? Kann man mich von der Fahrbahn aus sehen? Um mich herum ist ein größerer Strauch, also ist zu mindestens das unwahrscheinlich. Es ist, als ob ich Watte in den Ohren habe. In der Entfernung kann ich das Rollen von Reifen und eine Fahrzeugkolonne hören. Ist Ibrahim schon außer Sichtweite? Kann er entkommen oder habe ich einen alten Mann für meinen Plan geopfert?

Ein paar Autos jagen dahin. Ich kann es nicht genau ausmachen, während meine Sicht einigermaßen klar wird, da ich erneut fest stelle, dass ich immer noch keine Nachtsicht entwickelt habe. Die Dornen des Buches kratzen an mir. Jede Bewegung wird zu einer Zerreißprobe darin, nicht erneut irgendwas aufreißen zu lassen.

Nicht einmal die Sterne sind am Himmel zu erblicken, da der stetige Nieselregen die Sicht unmöglich macht. Es ist finster. Dunkler als ich gedacht hätte. Kann mich in diesem Moment nur an den vereinzelt auftauchenden Scheinwerfern orientieren. Inzwischen bin ich soweit auf alle viere gekommen und fange an zu kriechen.

Im langsamsten Tempo, inzwischen mit der entsicherten Waffe in der Hand, robbe ich jetzt über den Boden. Ein paar einzelne Sträucher am Straßenrand, ich muss offensichtlich das große Glück gepachtet haben, den einzigen Dornenbusch hier erwischt zu haben.

In einiger Entfernung bleibt ein Wagen stehen. Ein Pick-Up. Mindestens drei Personen, eine verbleibt im Wagen, die anderen beide, anscheinend mit Jagdgewehren oder Schrotflinten in den Händen, steigen aus und machen ein paar Schritte Richtung der Kreuzung. Auf die Entfernung kann ich sie nicht gut verstehen, aber sie brabbeln sich irgendwas in den Bart. Ich versuche still zu liegen, in der Hoffnung nicht auch noch irgendwie auf mich aufmerksam zu machen. Aber wenn ich näher rangehe, kann ich vielleicht verstehen, was sie sagen. Ein paar Meter wären vermutlich schon nicht schlecht. Langsam mache ich mich vorwärts, gewinne ein paar Zentimeter, dann ein paar Meter.

Dann höre ich das Rasseln. Moment. Rasseln. Babyrassel? Nope. Mist. Schlange. Ich kann sowohl sehen wie die beiden Herren ihre Waffen umklammern als auch, dass sich vor mir aus einem der über die Böschung verstreuten Sträucher eine Schlange in meine Richtung erhebt. Es ist schwierig, die Umrisse vollkommen auszumachen und sie ist definitiv nicht sehr groß aber ich will verflucht sein, wenn das nicht gerade ein ungünstiger Zeitpunkt ist. Es ist auch zu mindestens eine dicke Schlange, aber die Tatsache, dass ich in der Dunkelheit nun gerade wirklich Garnichts gegen sie machen kann, wenn ich meine Position nicht verraten will. 

Stopp. Schlange. Rasseln. Klapperschlange. Ich habe in den Tierdokus und dem Schulunterricht vielleicht nicht immer aufgepasst, aber der Biss einer Klapperschlange kann tödlich sein. 

Sie rasselt erneut, vermutlich mit dem hinteren Schwanzende. Schweiß läuft mir in Strömen über den Kopf und in die Augen, die daraufhin zu brennen anfangen während ich meinen Atem flach zu halten versuche und keinerlei aggressive Bewegung machen will. Am besten gar keine Bewegung. Ein schönes vom Regen in die Traufe.

Es dauert einen Moment, bis sie sich anfängt zu bewegen. Wie ein Kaugummi, dem man dabei zuguckt, wie es sich für diesen Augenblick vor dem Zerreißen dehnt, so wirkt es, als sie sich in meine ungefähre Richtung macht. Ich kann es spüren, wie sie sich an meinem Kopf vorbei auf meinen Rücken schlängelt und dort für einen Herzschlag verweilt. Wenn mir das hier nicht ein paar graue Haare einbringt, weiß ich auch nicht, was.

Das Gewicht auf meinem Rücken wird leichter. Kann ich es schon wagen mich zu bewegen? Meine Glieder fangen an zu schmerzen. Immerhin, die Furcht scheint eventuelle Schmerzen zurück zu halten.

Derweil kann ich sehen, wie die zwei an der Kreuzung den Pfad Richtung Industrieanlagen abschreiten und dann dort etwas aufblinken sehen. Ein Notfallsäule! Na schau mal einer an. Ich kann sehen, wie einer von ihnen die Schutzklappe öffnet und einen Telefonhörer rausnimmt. Jetzt sind sie ja noch weiter weg. Er spricht irgendwas in den Hörer hiein und klappt es wieder zu. Dann gucken sie sich an und gehen zum Pick-Up zurück, wo der dritte Mann den Motor anlässt. Sie steigen ein und drehen kurz, um dann wieder Richtung White Springs zu fahren. Kaum zu glauben, aber meine Chance ist gekommen. Ich bin mir unsicher, ob die Schlange noch da ist. Ich muss es riskieren. Ich stehe langsam und auf jede Bewegung bedacht auf. 

Im nächsten Augenblicken sprinte ich hinüber und stehe an der Kreuzung. Mein Herz pocht mir gerade bis zum Halse. Puhh. Vor mir öffnet sich der Weg Richtung Industrieanlagen. Irgendwo in einigen hundert Metern befindet sich also die Hausruine Fouquiers. 

Meine Erinnerung geht weit zurück. Ich bin mir sicher, schon erzählt bekommen zu haben, wie das Wandern in einer feuchten Nacht bei stetigem Nieselregen sich auf die Gemütslage in einer halbtrockenen Umgebung auf einen auswirkt, während man die eigene Hand vor Augen fast nicht sehen kann. Hätte mir jemand erzählt, dass ich das mal machen würde, ich hätte ihn zu mindestens nicht ausgelacht, aber sicherlich für verrückt erklärt.

Der Weg ist die Hölle. Wobei selbst mir beim Latschen auffällt, dass ich mich eindeutig zu oft beschwere.

Ein kurzer Blick auf das Telefon verrät mir, dass es kurz vor 4h morgens ist, als ich einen beginnenden Zaunabschnitt und diverse größere Industrierohre passiere. Die stetige Beleuchtung der großen Anlagen hinter ihren Sicherheitszäunen und Kamera-gestützten Drohnenüberwachung macht die aber immerhin Sicht deutlich besser.

Ich kann etwa eine halbe Meile vor mir ein Haus erkennen. Es ist im Halbschatten einer Zaunbeleuchtung, einem großen Scheinwerfer der wohl die Umgebung beleuchten soll, und auf der gegenüberliegenden Seite eines mehr schlecht als rechten Weges beginnt die Grundstücksgrenze mit einer Eingrenzung in einem halbverfallenen Bretterzaun.

Das Gebäude, zu dem von außen die dran stehenden Adresse, eine große bronzene Eins an einem ehemals weißen Briefkasten gehämmert, passt, ist in der Tat niedergebrannt. Aber nicht vollkommen. Das Grundstück selbst ist groß, das Gebäude hat schon fast die Ausmaße eines kleines Herrenhauses, wie man es sonst eher in der Stadt gewohnt wäre, mindestens acht Fenster auf jeder Seite neben der Eingangstür, die doppelflügelig in den Angeln hängt. Soweit es im eher schlechten Licht erkennbar ist, scheint das Gebäude tatsächlich einem Brand anheimgefallen zu sein, aber der Brand hat entweder nur das obere Stockwerk erfolgreich erfasst, oder wurde rechtzeitig gestoppt, denn neben einigen Bereichen im Erdgeschoss scheint nur das Obergeschoss völlig demoliert und in großen Bereichen hinunter gestürzt zu sein. 

Andererseits erklärt das natürlich auch den Kommentar des Barkeepers, unabhängig davon, wie viel Wert man dem beimessen will. Ob diese Leute in irgend einer Weise mit zusammen drin stecken? Aber sind sie Teil einer konkurrierenden Fraktion oder Mitglieder der Truppe um den Herrn Attaché und um Matthews?

Das Zaun-Tor ist völlig zertrümmert neben dem Einfang zu finden und der Garten wirk überwuchert. Trotz allem scheint eine Garage an der Seite frei gehalten worden zu sein. Das Gebäude selber grinst mich an wie ein Totenschädel in der Nacht. Es hat etwas Unheimliches. Die Pistole vor mich in der rechten, das Mobiltelefon als Taschenlampe in der Linken, bewegen sich meine Füße wie von selbst durch das Tor und Richtung der großen Eingangstreppe.

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