20170307

Fall 1 - LXXII

Ich kann es in Tatiannas Augen sehen. Die Angst. Es gibt kein Entkommen. Die Reflektion dessen, was sich hinter meinem Rücken abspielt. Ich kann es hören. Die erschrockenen Ausrufe. 

Die allgemeine Verwirrung. Drehe mich um, immer noch mit der Maschinenpistole, welche ich dem Wächter abgenommen habe. Das blendend helle Licht der Bühne, welches mir entgegen strahlt, und es unmöglich macht, einzelne Gesichter angesichts der funkelnden Sterne zu erblicken. Spuren von Bewegung in der Halbschwärze der Miniatur-Sonnen, gleich welchen die Scheinwerfer mein Blickfeld einengen. Schwere Schritte.

Jemand in der Menge– Er hat eine Waffe!

Esther Rassila – Zeichner?

Matthews – Huh? Kaltenstadts Bote?

Smetnik – Hehe….Hhahahaahaaha!

Die allgemeine Verwirrung, die sich ausbreitet, hat ihren Effekt nicht verfehlt. Ich kann sehen, wie dunkle Schemen sich zwischen mir und der Menge bewegen. Reiße die rechte Hand hoch, um die Blendung zu beenden. Der Schatten auf meiner Iris bleibt für Momente hängen. Geschrei von vorne. Panik. Die ersten fangen an zu bemerken, dass etwas nicht stimmt. Nicht alles so läuft, wie sie es gedacht oder geplant haben.

Unbekannt – Fallenlassen!

Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Selbst Halb-Blind kann ich bemerken, dass das Licht überstrahlt. Mein Oberkörper befindet sich in der Drehung zurück zur rückseitigen Bühne.

Hinter mir kann ich die geknebelten Wachleute hören, die versuchen auf sich aufmerksam zu machen durch den provisorischen Stoffknebel, welchen Ich Ihnen rein gedrückt habe.

Ein ohrenbetäubender Knall zerreißt die Anspannung. Fast gleichzeitig zerspringen Dutzende Glühbirnen und Lampen. Im Hintergrund röhrt ein flammender Ball aus Feuer und Elektrizität aus der Stromkammer. Die Überladung. Von einem, zum anderen Moment ist es zappenduster. Schreie. Schmerzen. Glassplitter welche umherfliegen. Ich werfe mich in die Richtung, aus der ich kam. Reiße einen Leib mit zu Boden. Es kann nur Tatianna da sein. Drücke ihren Kopf herunter, und mache mich so flach es geht.

Dann beginnt das Stakkato. Salven zerreißen die Luft. Ein Bleigewitter. Schwere rot-orange Feuerblitze zucken umher. Menschen schreien. Gegurgel, irgendwo hinter mir. Jemand wurde getroffen. Die Kulisse verändert sich. Von einzelnen Lichtpunkten durchbrochen, kann ich jetzt Kleinkaliber-Feuer hören. Die Leute haben ihre Pistolen gezogen. Vermutlich diejenigen, die bewaffnet waren. Im Glauben an eine Falle fangen sie an, sich gegenseitig über den Haufen zu schießen. Ich kann das Knallen und Krachen der Tische und Stühle hören. Die Schmerzensschreie der Verletzten.

Meine Hände tasten den zitternden Leib unter mir entlang. Suchen die Hand. Finden eine. Drücken sie. Wir müssen hier weg, oder wir sind Toast! Selbst die Flammen im Hintergrund des entfernten Korridors erleuchten nur knapp den kleinen Bereich und tauchen den Rest in eine Sphäre der Unwirklichkeit.

Zeichner - Mir nach!

Ziehe uns langsam auf Bodenhöhe entlang der hinteren Bühne Richtung Seitenkorridor. Ich kann nur hoffen, dass die anderen einigermaßen rausgekommen sind. Das Chaos im Saal hat sich etwas beruhigt. Nicht unbedingt zu meinen Gunsten. Wir kommen dem Eckpunkt näher. Richte mich langsam auf, ziehe sie, etwas kraftvoller, unnötigt ruppig, am Arm hoch. Mit der MP-Mündung zu meinem Mund, tippe kurz, um ihr anzudeuten, dass wir jetzt sehr, sehr still sein müssen.

Die Flammen haben angefangen, stärker nach außen zu fassen. Die Beleuchtung ist stärker geworden. Man kann einige Punkte erkennen, welche in Flammen stehen, ebenso wie der Korridor vor mir, der seitlich am Saal entlang führt durch den brennenden Maschinenraum extrem hell erleuchtet ist. Die Hitze ist unerträglich. Droht mir, wenn ich noch näher rangehe, die Haut von den Knochen zu brennen. Dazu die Rauchentwicklung. Dunstig, schwadenreich zieht der Rauch seine Kreise. Das Atmen wird schnell schwierig auf einer gewissen Höhe.

Ziehe uns vorbei am Feuer entlang, ziehe den Kopf etwas ein, und erreichen den Korridor. Irgendwo da vorne ist die T-Kreuzung im Gang, mit der Treppe hinauf, und dem VIP-Fahrstuhl. Es sind nur wenige Meter. Sie quiekt auf. Tränen laufen über das glühende Gesicht. Sie kippt zur Seite. Glassplitter. Mitten rein getreten. Fuck. Nehme sie auf meine Schulter. Klappt nicht. Der ganze Korridor ist voll von diesen Stellen. Lehne sie gegen die Wand. Es bleibt keine Zeit. Beuge mich vor, ziehe ihre Hand über die Schulter und sie auf meinen Rücken. Hu…argh. Fuck, ist…das….schwer.

Es knirscht unter meinen Füßen. Im Hintergrund sind immer noch vereinzelte Schreie hörbar. Schüsse. Es muss ihnen doch bald mal die Munition ausgehen. Bewegung vor mir. Ich kann die Schritte des schweren Schuhwerks hören. Drücke uns gegen die Wand. MP nach vorne gerichtet. Ein Schemen im Halbdunkel, der um die Ecke rennt. Ich ziehe durch. Der Rückstoß kickt mir die MP beinah aus der Hand, reißt an meinen Fingern. Gräbt die Waffe tief in meine Schulter. Ein kurzer Aufschrei von vorne, als der menschliche Leib von Kugeln durchsiebt wird. Die Person fällt. Einer der Wachleute von vorne. Drücke mich weiter nach vorne, Richtung Kreuzung. Es knallt irgendwo laut. Etwas ist gerade hochgegangen? Der Gang vor mir wirkt heller. Ein kurzer Blick über das wimmernde Etwas auf meinen Schultern. Die Flammen schlagen höher. Haben inzwischen deutliche Teile des Bereiches hinter der Bühne erreicht. Fressen sich gerade durch den Teppich. Stück für Stück. Bei dem Wetter draußen wird das hier alles abfackeln, bevor da irgendwas gerettet werden kann.

Erreiche vorne die Kreuzung. Tatianna hustet. Der Rauch hat Schulterhöhe bald erreicht. Der Leichnam, der im Tod angefangen hat, sich zu entleeren, stinkt nach einer Mischung aus Blut und Pisse. Fuck. Offensichtlich haben die Kugeln nicht nur die Weste, sondern auch seinen Hals und sein Gesicht durchlöchert. Drücke uns vorbei an ihm, über den Körper hinweg, und am Korridor, der zur Küche führt vorbei. Die einsame Treppe nach oben. Wer weiß wo die hinführt. Lass es keine Sackgasse sein.


Das Licht lässt inzwischen nach, obwohl der Flammenlauf uns zu folgen scheint. Meine Rechte hält immer noch ihre Hand fest. Lasse die MP fallen. Sie fällt klappernd zu Boden. Wird kaum auffallen bei all dem Lärm hier unten. Ziehe das Telefon aus der Tasche. Kaum noch Akku, aber leuchtet mit maximaler Intensität. Pseudo-Taschenlampe. Wenn ich das hier überlebe, besorge ich mir eine Maglite.

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