20170620

Nahe Dunkler Kälte

Der schwere Schlag ließ seine Ohren klingeln. Mit einem Ruck riß er sich vom Korpus los. Raluff war tot, daran machte der leere Blick, mit welchem ihm sein Gefährte anstarrte, der Schrecken in den Augen, keinen Hehl mehr.

Erneut fuhr die Klaue hernieder.  Horge warf sich zur Seite. Nur aufgewirbelter Staub und Schnee kam hoch, wo die Furchen entlang der Klauenspuren sich zogen. Die Monstrosität ließ nicht locker. Sein Herz pochte zum Anschlag.

Er wollte umdrehen. Fliehen. Sein eigenes Leben retten. Nur der Preis dieser Tat hielt ihn davon ab. Er umtänzelte die Bestie. Vorsichtige Schritte zogen Spuren im Schnee. Er konnte den harten Boden unter sich spüren, welcher jeden Meter begleitete. Das ewige Eis schmolz nie, und brachte Kinder hervor, welche ebenso schrecklich wie schön sein mochten. Aus einer gewissen Perspektive.

Es sprang vorwärts, bemüht ihn unter seiner wuchtigen Masse zu begraben. Horge warf sich kopfüber, eine Rolle versuchen durch den Schnee, versuchte sich unter dem plötzlichen Ansprung weg zu rollen. Er sah den Schatten auf sich fallen. Der Schnee, zu dicht, gab keinen Millimeter nach, während er sich darunter hinweg rollen wollte.

Nur ein Atemhauch trennte sie, als er den Blick in der Rolle hochbekam, und bemerkte, dass er zu kurz ausgewichen war. Mit Krachen landete das Monstrum auf ihn, begrub ihn unter Bergen von Fleisch, verödetem Blut, Fell und korrumpierter Haut. Schnitt ihm die Luft zum Atem ab.

Sollte dies sein letzter Kampf sein? Sein letztes Aufbäumen? Mit dem Mut der Verzweiflung biss er in die ihn vor Übelkeit kaum zu Atem kommende verwesende Haut über ihm. Seine Hände boxten und knufften, so dachte er, mit aller Gewalt gegen seinen Feind. Der Speireflex war übermächtig, kaum hatten seine Zähne in das stinkende, fast lederne Hautstück gebissen, seine Zunge, seine Lippen auch nur einen Hauch des Geschmacks aufgenommen, das er spürte, wie die Galle seinen Hals hinaufwanderte und sich brachial in seiner dunklen Kammer der Verdammnis entlud.

Die Luft entwichen, aller Atemraum verdrängt, selbst ein Japsen in der Kehle erstickt durch Flüssigkeit, spürte Horge das Beißen und Kratzen am Geiste. Den Moment, wo der Geist sich verabschieden würde. Das Adrenalin in seinen Adern machte dem Berserker Rausch-gleich zu schaffen, er war am Ende seiner Kräfte, sein Körper wollte kämpfen und fliehen gleichermaßen.

Mit der Kraft der Verzweiflung drückte sich Horge tiefer in den unter ihm hängenden Schnee, in die kleine, durch seine im Todeskampf gemachte kleine Kuhle, bis sein Arsch im wahrsten Sinne des Wortes auf das ewige Eis des Grunds unter ihm stieß, und er anfing, mit letzter Kraft den Schnee an seiner Seite wegzustoßen, nur um letztlich, ein letztes Mal ans Tageslicht zu kommen.

Er durchstieß die Schneedecke, kam an die frische Luft, das Antlitz der tiefen Sonne küsste für einen Augenblick seine Finger, ehe er sich kotzend, hustend und prustend an die Oberfläche aus dem Dunkel von Grund und Bestie freikämpfte. Sein Maul entließ einen Schwall von Gift und Galle, der sich fontänenartig in die Umgebung zog, ehe er seinen Magen soweit hatte.

Erst jetzt war er überhaupt in der Lage, zu verstehen, dass er lebte. Und sich in seinem Geiste nur die Frage nach dem Warum bilden konnte. Er drehte sich, verschmiert, aber am Leben, um, und blickte auf eine grausige Szene. Raluffs Leib, erhoben, ein Wiedergänger, hatte sich, vollends der Korruption des verdorbenen Blutes ergeben, auf die Abscheulichkeit gestürzt, und ihr den Kopf abgerissen. Labte sich an den schwarzen Innereien, einem Tiere gleicher denn einem Menschen.

Tränen standen in Horges Augen. Er wusste, dass seinem altem Freund nur ein Dienst noch ein guter wäre. Raluff knurrte ihn an, die weißen, blinden Pupillen starrten ihn zornig an, während das mit schwarzem Blut verschmierte Maul, noch halb mit den Innereien und deren Inhalt gefüllt, der nun an den Mundwinkeln entlang heraus tropfte, mit Abscheu und reiner Fresslust knurrte.

Er griff sein immer noch in den Hautspalten der Bestie steckendes Schwert, und zog den treuen Eisenbalken heraus. Raluff ließ die Gedärme fallen, jaulte mit einem Geräusch, das einem die Eingeweide umdrehte und stürzte sich auf Horge. Dieser schwang sein Schwert. Der eiserne Klotz, mehr Wucht als Schneidwerkzeug, rieß seinem altem Gefährten die Schädeldecke ein, als dessen klammen, eisharten, schraubstockartigen Finger sich in Horges Brust verkrampften.

Schockartig fiel Raluff gegen Horges schmerzenden Leib, zuckte und schlitterte im blutigen Schnee zu Boden. Horge ließ das Klinge, zitternder Finger nach, fallen, fiel nach hinten und blieb liegen.

In der Entfernung konnte er die Rufe des Jungen hören. Er hatte ihm aufgetragen, nicht näher zu kommen. Er wusste, wie es weitergehen würde. Der Junge würde ihm aufhelfen, seine Wunden versorgen, und er würde ihm die Lektion aus Raluffs letztem Kampf erklären, während er seine Hand versteckte, und sich den Mund verbinden würde. Sie würden zum Außenposten zurückkehren. Und dann, eines Morgens, wenn er den Ruf hörte, würden sie auf Jagd gehen.

Er wusste, das das Pochen nicht aufhören würde. 
Raluff hatte es auch schon, ehe sie auf diese Jagd gegangen waren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen